Fall 4: Weiss ist auch eine Farbe

Zürich 2016: In der Limmatstadt regiert das Verbrechen. Selbst die noble Welt der Kunst wird nicht verschont. Doch der unerschrockene Polizeipräsident Pilch und seine drei Mitarbeiter der Kripo Zürich sind noch da...

 

'Grosse Ryman Retrospektive im Kunsthaus'. Niemand wusste, wieso Polizeipräsident Heribert Pilch gerade diese Schlagzeile so triumphierend im Büro der Kripo Zürich herumreichte. Er wurde ja gar nicht erwähnt.

Haben sie gesehen, Kottan, Zürich ist wieder einmal Mittelpunkt der Kunstwelt. Und diesmal strahlend weisse Bilder, die das Licht in die Welt reflektieren. So wie ich als Präsident Licht ins Dunkel des Verbrechens bringe. Ich wurde von Kunsthaus Direktor Christoph Becker persönlich zur Vernissage eingeladen.“

 

Kottan sah einen Heiligenschein über Pilchs Kopf aufsteigen. Oder war es doch nur der Zigarrenrauch von Paul Schremser?

 

Gratuliere, dann haben wir wenigstens einen ruhigen Nachmittag.“ Kottan erinnert sich an eine 'freie Zürcher Künstlerausstellung', bei der er mitgemacht hatte.

Er hängte leere Notizbüchlein an die Wand und setzte als Titel: Die gesammelten Werke Robert Rymans, jetzt im Verlag A.Kottan erhältlich, 22.50.

 

Um 10:00 Uhr herrscht im Kunsthaus ein Gemurmel unter den Anwesenden, wie es sich vor bedeutungsgeladenen Ansprachen ziemt. Alle scheinen gespannt, wie 30 weisse Leinwände in der Kunstgeschichte neu verankert werden.

Um 10:20 unterdrückt man die aufkommende Ungeduld mit interessiertem Rätseln: Versucht wenn möglich Direktor Becker durch seine Abwesenheit, also mit dem Fehlen von Worten, die Abwesenheit von Farben auf den Leinwänden zu illustrieren? Aber 'Weiss ist doch auch eine Farbe', hört man allenthalben.

Ryman selbst hat es immerhin auf 10:00 knapp geschafft und sitzt, offenbar auch mit Erklärungen für das Ausbleiben von Becker ringend, in der ersten Reihe. Oder sucht er bloss nach Worten für seine eigenen Werke?

 

Um 10:45 fordert Kurator Büttner die Anwesenden auf, die Ausstellung zu begehen, derweil er versuchen würde herauszufinden, wo Becker sei.

Pilch zieht seine Brille aus der Tasche und betrachtet Bild um Bild mit einem prüfend skeptischen Blick, ein Kunstkenner halt: „Wunderbar, alles genau gleich, und doch so verschieden.“

Pilchs Resumé provoziert anerkennendes Nicken bei den umstehenden Leuten, die ihrem Polizei-Präsidenten kein solch tiefschürfendes Verständnis moderner Kunst zugetraut haben.

 

Ein verschwitzter Kurator stürmt in die Ausstellungshalle: „Soeben wurde Becker gefunden, tot, keine 200 Meter von hier im Niederdorf. Er war zu Fuss auf dem Weg zu uns, als er wurde von hinten mit einem Messer niedergestochen wurde, grauenhaft.“

 

Ich wusste es“, Kottan stempt seine Füsse vom Bürotisch, stösst dabei den Stempelhalter um und meint lakonisch zu seinen Kollegen, nachdem er das grosse 'A' auf seinem Display entdeckt hatte, „ich wusste es wird kein ruhiger Nachmittag“. Während ihm 'A', Also Pilch, seine unzusammenhängende Geschichte ins Ohr schreit, stempelt Kottan unaufhörlich auf ein Blatt Papier ein. 'Nicht verzagen, Polizei Zürich fragen', sieht Kottan den von Pilch persönlich erfundenen Werbespruch für die Kripo 200 Mal vor sich, als dieser das Gespräch beschliesst: „Also, sie gehen unverzüglich an den Tatort, ich versuch die Kunstwelt zu beruhigen, mit einer Rede.“

 

Kottan und Team stehen vor dem 'Grünen Glas', die Spurensicherung ist an der Arbeit, Wellen in der Luft tragen Worte aus dem nahen Kunsthaus an ihr Ohr: „...die Kunst darf sich auch durch Gewalt nicht stoppen lassen...“

 

Eine Stunde später stehen Kottan und Schremser in einem grossen, leeren und sehr weissen Saal und betrachten die Werke von RR, Pilch spricht nebenan noch immer zu Kunstgemeinde.

Ich weiss nicht recht, ich weiss nicht recht“, Schremsers Begeisterung hält sich noch in Grenzen, während Kottan mit einem Fingernagel an einer Leinwand kratzt. Er wiederholt es bei 4 Bildern: „So ist das also.“

 

Das Buffet ist bereit“, Kurator Büttner musste aus humanitären Gründen die Rede Pilchs ganz einfach unterbrechen. Die Leute strömen erleichtert zu den kalten Platten. Kottan versucht gar nicht erst, Pilch von den Ermittlungsergebnissen zu unterrichten. Dieser steht vor ihm, um ihn darüber zu informieren, dass er, obwohl improvisiert, wohl eine seiner bedeutendsten Reden gehalten habe. Kottan lässt den strahlenden Pilch stehen und tritt hinter Rober Ryman, der sich in einer Ecke vor einem seiner Werke herumdrückt.

Keine Farbe, das muss sie doch im Innersten getroffen haben.“

Sie wissen?“ Ryman steht wie ein Häufchen Elend vor Kottan und gesteht resigniert: „Christoph gestand mir vor drei Tagen, nachdem die Ausstellung fertig eingerichtet war, dass die Originalbilder verloren gegangen seien. Was hier hängt, sind einfach leere Leinwände, die er bei Zumstein am Rennweg gekauft hat. Ich hab es zuerst nicht einmal bemerkt.“

Wurden die Originale gestohlen, hier aus dem Kunsthaus?“

 

 „Nein, ein Abwart hat sie an bedürftige Maler verschenkt.“

 

 Schreibbüro Toni Saller: b-schreiben.ch, tonisaller@hotmail.com

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